Fallbeispiel aus dem Fachbereich BAUSCHADSTOFFE

Viehstall mit Verunreinigungen aus der Herstellung von Futtermittelaromen

Der Fall

Der ehemalige Mieter eines Kuhstalls einer denkmalgeschützten Gutanlage in der Nähe von Kassel wurde angeklagt, das gemietete Gebäude durch die jahrelange gewerbliche Herstellung von Futtermittelaromen kontaminiert zu haben. Durch ein Sachverständigengutachten im Auftrag des zuständigen Landgerichtes sollte geklärt werden, ob tatsächlich Kontaminationen und Geruchsbelastungen vorliegen, diese ggf. gefährlich sind, wie die Kontaminationen ggf. zu sanieren sind und welche Kosten dafür entstehen.

 

Das Objekt

Es handelt es sich um ein freistehendes ehemaliges Stallgebäude aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts in einfacher einschaliger Bauweise ohne Dämmung der Wände und Decken. Wie schon die Gerichtsakte zeigte und die spätere Begehung bestätigte, nutzte der Mieter ein ausgesprochen einfaches Prinzip zur Beschickung der Aromenmischanlage: die Schwerkraft. In den Beton-Fußboden des Dachgeschosses wurde einfach ein trichterförmiger Durchbruch geschaffen und behelfsmäßig verkleidet und durch diese Öffnung mithilfe eben dieser Schwerkraft Aroma für Aroma in den darunter stehenden Mischer im Erdgeschoss gekippt, geschüttet oder halt irgendwie „gepülscht“. Konsequenterweise stand der Mischer auch nicht in einer Wanne oder hatte eine irgendwie anders geartete Auffangvorrichtung. Auch Vorrichtungen zur Minimierung der Raumluft-belastungen wurden nicht eingesetzt, weder Absauganlagen, noch Lüfter. Dass diese Art der Aroma-herstellung nicht ganz ohne Einfluss auf das gemietete Bauwerk blieb, lag nahe - nur zu beweisen war es halt noch.

Die Vorgehensweise

Zur Prüfung wurden die Belastungen der Bausubstanz und der Raumluft mit speziellen Probenahmen und Laboranalysen untersucht. Sehr erleichtert wurde die Begutachtung durch Fotos, die der Kläger bei Besichtigungen des Mietobjektes noch während der Nutzung angefertigt hatte. Schon hier war die unsachgemäße Lagerung der Einsatzstoffe in teils undichten, teils offenen, aber in keinem Fall auch nur ansatzweise gegen Tropf- oder Kippverluste gesicherten Kanistern, Kannen und Fässern erkennbar. So konnten die Untersuchungen gezielt an den Standorten undichter Gebinde vorgenommen und der Zusammenhang zwischen Nutzerhandlung und Ursache der Belastungen nachgewiesen werden. Analytisch allerdings gar nicht so einfach, wie man sich zunächst denken mag. Der Mieter hatte mit einer Vielzahl unterschiedlichster Aromen und Chemikalien hantiert. Wo nun genau welche Stoffe zum Einsatz kamen, war unbekannt. Also galt es einen Mittelweg zu finden, d. h. eine möglichst breit angelegte Analyse aller in Frage kommenden Stoffe mit einer möglichst guten Zuordnung zur Quelle. Ein anderes Problem: Es gibt Laboratorien, die sich auf Lebensmittelchemie (darunter eben auch Futtermittelaromen) und andere Laboratorien, die sich auf Umweltanalysen spezialisiert haben. Die einen können zwar viele der in Frage kommenden Stoffe hochempfindlich analysieren, aber eben nur in organischen Materialien (Lebensmittel/Futtermittel), die anderen können auch mit anorganischer Materie umgehen, wie sie hier in Form von Baustoffproben aus Fußböden, Wänden und Decken anfiel, haben aber keine geeignete Analysentechnik für die hier gesuchten Substanzen. Ausweg aus diesem Dilemma bot schließlich die Gaschromatographie mit Detektion im Massenspektrometer (GC-MS) in einem Umweltlabor. Hiermit lassen sich zahlreiche der in Frage kommenden Substanzen recht gut halbquantitativ identifizieren, d. h. die Art der Stoffe und deren ungefähre Konzentrationsgrößenordnung anhand interner Eichstandards, die den Proben in bekannten Konzentrationen zugesetzt werden. Um auch quantitative Aussagen zur tatsächlichen Kontamination zu erhalten, wurde zusätzlich Limonen, das in zahlreichen Proben identifiziert wurde, mittels geeichter Messung bestimmt und damit der Rückschluss auf den Kontaminationsgrad einzelner Bauteile bzw. Baugruppen möglich.

Aber noch vor der Begehung trat ein mögliches Folgeproblem der Bauwerkkontamination in Erscheinung: Schon auf den Fotos in der Gerichtsakte zeigten sich massive schwarze Verfärbungen an Wänden und Decken. Hier muss man zusätzlich mit einem Schimmelpilzbefall rechnen. Um diesem „Phänomen“ gerecht zu werden, das erheblichen Einfluss auf die Sanierungskosten haben kann, wurden zusätzlich Materialproben des schwarzen Besatzes für Schimmelpilzuntersuchungen entnommen.

Die Ergebnisse

Schon bei Betreten des Gebäudes zeigte sich ein deutlich wahrnehmbarer Geruch.  Und das, Dieses, obwohl der Mieter das Gebäude schon seit über einem Jahr geräumt hatte und dieses mangels dicht schließender Fenster und Türen alles andere als luftdicht war. Zunächst war der Geruch auch gar nicht so unangenehm, leicht fruchtig und irgendwie aromatisch. Doch mit zunehmender Aufenthaltsdauer schlug die Stimmung rasch in das Gegenteil um und nach nur einer halben Stunde stellte sich ein penetrantes, ja geradezu ekelhaftes Geruchsempfinden ein. Dieser intensive Geruch haftete auch nach mehrmaligem Reinigen noch Wochen später an Arbeitskleidung und Probenahmegerätschaften. Die chemische Erklärung liegt auf der Hand: Aromastoffe sind eben nur deshalb Aromen, weil Sie schon in geringster Dosierung intensiv schmecken und riechen. Allesamt sind sie gekennzeichnet durch eine sehr geringe Geruchsschwelle. Wird diese überschritten, ist es nur ein kleiner Weg bis zum unerträglichen Gestank. Wer einmal im Labor künstliche Aromen herstellen musste, weiß wovon ich spreche.Und so waren die analytischen Ergebnisse fast zu erwarten: Massive und teilweise sehr tiefgehende Belastungen in Fußböden und Wänden mit einem Cocktail an Einsatzstoffen des Mieters. Und wie sich immer wieder zeigt: Holz „atmet“! Wenn Holzbauteile über Jahre ständig einen solchen Aromamix angeboten bekommen, wie er zur Produktionszeit des Mieters in der Luft vorgeherrscht haben muss, dann „atmet“ das Holz (hier der Dachstuhl) eben diesen Stoffcocktail ein, aber auch noch lange Zeit wieder aus. Die Folge: Nicht nur die Fußböden und der Wandputz, auch der gesamte Dachstuhl war infolge der jahrzehntelangen Einwirkung dermassen geruchsintensiv belastet, dass er zur nachfolgenden Wohnnutzung ausgetauscht werden musste.

Hier taucht nun aber die nächste Frage auf: Was heißt in diesem Zusammenhang „sanierungsbedürftig“? Wie der Mieter einwandte, sind die eingesetzten Futtermittelaromen als Zusatzstoffe für Futtermittel und zum größten Teil sogar für Lebensmittel erlaubt. Sie können also gar keine Belastungen der Bausubstanz
darstellen. Zu allem Überfluss kommt erschwerend hinzu, dass das Gebäude zuvor jahrzehntelang als Kuhstall genutzt wurde. Und wie der Mieter und sein Anwalt einwandten, sind Kuhställe nicht frei von Kontaminationen der Bausubstanz (Harn, Kot, Ausdünstungen) und Gerüchen. Schon nach kurzem Literaturstudium wurde klar: Diese Aussage stimmt hundertprozentig! In Kuhluft wurden bisher mehr als 130 Einzelstoffe nachgewiesen, die denjenigen der verwendeten Futtermittelaromen z. T. chemisch sehr gleichen, z. T. mit diesen identisch sind. Ein Ausweg aus diesem Dilemma: Man muss die mieterseitigen Fremdkontaminationen von denen eines Kuhstalls trennen und sich den Kontaminationsgrad im Einzelfall genau ansehen. Dann wurde rasch klar: Hier handelt es sich keineswegs mehr um leichte Verschmutzungen mit Allerweltschemikalien aus dem Lebensmittelsektor oder Hinterlassenschaft der früheren tierischen Bewohner, sondern um eine massive Verunreinigung der Bausubstanz mit stark riechenden Kontaminanten, die eine Umnutzung, z. B. als Wohngebäude, nur mit aufwendigen Sanierungsmaßnahmen zulassen, die weit über das normale Maß hinausgehen.

 

Das Tüpfelchen auf dem „i“ waren jedoch die z. T. zentimeterdicken schwarzen Beläge an Wänden und Decken. Hier hatte sich höchstwahrscheinlich Folgendes abgespielt: Infolge der fehlenden Dämmung sind die Stoffnebel aus Aroma- und sonstigen Einsatzstoffen an den kalten Bauwerkteilen kondensiert. Ein Phänomen, das seit einigen Jahren unter dem Begriff „Fogging“ oder auch „Schwarzstaubabagerungen“ bekannt geworden ist. In unserem Fall bildet dieser Kondensationsfilm aus einem Mix verschiedenster organischer Chemikalien einen idealen Nährboden für Schimmelpilze. Infolge der hohen Baufeuchtigkeit aus fehlenden Horizontalsperren in Fußböden und Wänden und einer jahrelangen Dachleckage, wurde gleichsam auch die Kondensation von Raumluftfeuchte an den kalten Wänden und Decken begünstigt - insgesamt ideale Wchstumsbedingungen für Schimmelpilze und Bakterien. Nach dem Ausbleiben neuen „Futters“, d. h. nach Mietende des Aromenproduzenten, starben die Schimmelpilzkolonien ab und wurden wiederum von Milben befallen, die sich nun an ihnen gütlich taten, nach einem anständigen „Festmahl“ und Versiegen der Quelle dann aber selber abstarben. Zurück blieb ein schauriger, schwarz-grauer und teils mehrere Zentimeter dicker Belag aus abgestorbenen Schimmelpilzen und deren Zersetzungsprodukten, Milben und Milbenkot. Eine maßgebliche Folge: deutlich höhere Sanierungskosten für die zusätzlich notwendigen Arbeitsschutzmaßnahmen.

 

Die Schlussfolgerung

Abgesehen von rechtlichen Zwängen mag bezweifelt werden, ob es sich ökonomisch auszahlt am Emissionsschutz zu sparen. Sicher erspart sich der Produzent Investitionen, Wartungs- und Reparaturaufwand, aber: Der Schaden, den er am Bauwerk angerichtet hat belief sich rein rechnerisch auf geschätzte 230.000 EUR netto. Bereits für einen Bruchteil hätte man sicherlich wirksame technische
Sicherungsmaßnahmen einrichten können. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist der betriebliche Arbeitsschutz und die Arbeitnehmerfürsorge. Wenn selbst mehr als ein Jahr nach Betriebsaufgabe und Räumung des Betriebsstofflagers noch derartig penetranter Geruch in einem solch zugigen Gebäude auftrat, mag man sich gar nicht vorstellen, welche „Dünste“ wohl im laufenden Betrieb vorlagen und die Arbeitnehmer tagein, tagaus umwehten. Ob nicht allein schon aus diesem Grund ein wenig mehr Fürsorge für die Mitarbeiter angezeigt gewesen wäre?

 

Das Projekt wurde ausgeführt im Zeitraum November 2006 bis April 2007.

 

Dr. Jens Skowronek